Erschienen am: 20.03.2002
Djerassi: «Ich finde es falsch, Ethik per Gesetz zu verordnen»
Als junger Chemiker hat er mit der Antibabypille breiten Massen das Erleben von «Sex ohne Befruchtung» ermöglicht, und heute ist er beredter Advokat der Techniken, die «Befruchtung ohne Sex» versprechen: Der Forscher, Unternehmer und Autor Carl Djerassi will die heiklen Entscheide rund ums Kinderkriegen den betroffenen Paaren überlassen.  
BaZ: Herr Djerassi, Ihnen geht der Ruf voraus, so ziemlich alle reproduktionsmedizinischen Methoden zu befürworten, die einem Paar den Kinderwunsch erfüllen könnten - ohne Rücksicht auf ethische Bedenken...
Carl Djerassi: Nein, das würde ich so nicht unterschreiben. Die ethischen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, finde ich sehr wichtig. Nur bin ich der Ansicht, dass sie jeweils bloss von zwei Personen beantwortet werden können, nämlich von Mutter und Vater des zu zeugenden Kindes. Ethische Bedenken auf diesem Gebiet, wo es doch um sehr Persönliches geht, per Gesetz auf nationaler oder gar kantonaler Ebene regeln zu wollen, finde ich falsch und letztlich auch kontraproduktiv. Ein entgegengesetzt gelagertes Beispiel: Obwohl etwa die katholische Kirche den Gebrauch von Verhütungsmitteln verdammt, wird die Pille auch in katholischen Ländern genommen. Dasselbe gilt für die Abtreibung, auch wo sie - wie etwa in Irland - illegal ist, wird deswegen nicht weniger abgetrieben, die Frauen reisen dazu einfach ins benachbarte England.
Doch jetzt diskutieren wir ja nicht über Abtreibung, sondern über die Zweckmässigkeit, Schwangerschaften schon fast um jeden Preis herbeiführen zu wollen. Zum Beispiel mit der ICSI-Technik (vgl. Bild), die neuerdings unter Verdacht steht, negative Auswirkungen zu haben für die Babys, die auf diesem Weg gezeugt wurden. Da ist es doch begreiflich, wenn die Gesellschaft mitreden will. Sie muss ja dann auch einen allfälligen Schaden mittragen.
Da habe Sie teilweise, aber nur teilweise, recht. Denn wenn Sie das Argument konsequent weiterführen wollten, dann dürfte man unfruchtbare Leute überhaupt nicht behandeln, weil man gar nicht weiss, welch andere Gesundheitsrisiken dadurch künstlich weiter vererbt werden könnten. Anderseits gibts jetzt schon über eine Million Babys, die im Reagenzglas gezeugt wurden. Das älteste «Kind» ist jetzt etwa 25 Jahre alt. Zahlreiche Studien wurden durchgeführt über den physischen und psychischen Gesundheitszustand dieser in vitro gezeugten Kinder. Und dabei hat sich herausgestellt, dass dieser Nachwuchs genau so gesund ist wie die Kinder, die auf herkömmliche Weise zur Welt kamen. Eine Einschränkung: Durch diese Technik kommt es überdurchschnittlich häufig zu Mehrfachgeburten, und Mehrlinge haben tatsächlich eher Probleme als Einzelkinder, egal wie sie gezeugt wurden.
Aber mit der ICSI-Technik hat man doch noch nicht soviel Erfahrung...
Auch die ersten ICSE-Babys sind jetzt schon elf Jahre alt, fast 100 000 sind auf diese Weise gesund geboren worden. Dass die Direktinjektion einer einzelnen Samenzelle in eine Eizelle die Erbanlagen beeinflussen könnte, ist unwahrscheinlich. Wie es diesen ICSI-Kindern in dreissig, vierzig Jahren gehen wird, kann zugegebenermassen jetzt noch nicht gesagt werden. Im schlimmsten Fall, denke ich, werden sie wie die Eltern unfruchtbar sein. Und das kann man ja heute behandeln.
Doch bleibt die Frage im Raum, ob solch aufwändige und vor allem für Frauen sehr belastende Befruchtungsmethoden sinnvoll sind angesichts der Tatsache, dass der Planet Erde alles andere als unterbevölkert ist. Wäre es nicht gescheiter, unfruchtbare Paare zur Adoption von Babys etwa aus Drittwelt-Ländern zu ermuntern?
Doch, das finde ich auch, das wäre ideal. Aber die meisten Leute wollen eben eigene biologische Nachkommen haben, Adoption wird selten als Alternative akzeptiert...
...das eigene Genom wird immer noch derart wichtig genommen, dass es unbedingt weitergegeben werden muss?
Komischerweise ist das immer noch so. Von einem intellektuellen Standpunkt her gesehen, ist solches Verhalten totaler Unsinn. Aber mir selber - und ich halte mich doch für einen einigermassen intelligenten Menschen - ging es gleich: Auch mir lag sehr daran, eigene Kinder zu haben. Wir Männer romantisieren das halt immer noch. Dabei sollten wir uns gescheiter darauf konzentrieren «väterliche» Väter zu sein statt vor allem genetische.
Ihre Ausführungen sprechen ja direkt gegen den Einsatz der ICSI-Technik...
Nein, so meine ich das auch wieder nicht. Denn von der ICSI-Technik sollen ja nicht bloss unfruchtbare Paare profitieren, sondern auch solche, die momentan keine Kinder haben können oder wollen, entweder weil sie noch in Ausbildung sind oder die Frauen zuerst noch eine berufliche Karriere verfolgen wollen. Sie könnten sich auch noch in reiferem Alter die Embryonen einpflanzen lassen, die sie in ihrer Jugend vorsorglich erzeugt haben.
Diese Möglichkeit wird aber immer hauptsächlich wohlhabenden Paaren in der westlichen Welt vorbehalten sein?
In der Regel schon. Aber im Prinzip sollten nicht nur reiche Leute von der modernen Reproduktionsmedizin profitieren dürfen, das wäre dann tatsächlich ethisch problematisch.
Dann müsste beispielsweise die ICSI-Technik Ihrer Meinung nach kassenpflichtig werden?
Ja, ich denke schon. In Belgien und England ist dies bereits der Fall. Ich finde das auch ökonomisch sinnvoll. Denn beispielsweise ICSI kommt vor allem in Ländern mit niedrigen Geburtenraten zum Einsatz. Und da ist es folglich auch im Interesse der Gesellschaft, wenn mehr Babys - wenn auch mit technischer Nachhilfe - geboren werden.
Aber nochmals, den Entscheid, ob sie sich einer solch komplizierten und belastenden Prozedur zum Kinderkriegen unterziehen wollen, muss man, so finde ich, den Eltern überlassen. Verbote wären sowieso unsinnig, würden bloss einen «ICSI-Tourimus» begünstigen und wären sozial ungerecht - wie das Abtreibungsverbot in Irland.
Wo würden Sie bei den Reproduktionstechniken dann die Grenze zum noch Verantwortbaren ziehen? Zumindest theoretisch ist es ja heute bereits möglich, Embryonen sogar ohne Spermazellen zu gewinnen, etwa durch Klonen. Wie sehen Sie da die Zukunft?
Kommt darauf an, wie weit wir in die Zukunft schauen. Wenn wir von 100 Jahren sprechen, bin ich leider sicher, dass die Menschen das tun werden.
Weshalb leider?
Weil ich nicht weiss, was dabei herauskommt. Für die unmittelbare Zukunft bin ich entschieden gegen das Reproduktions-Klonen (im Unterschied zum therapeutischen Klonen, mit dem man vielleicht einmal Ersatz für kranke Organe schaffen kann, eine Technik, die ich befürworte). Aber über die Folgen des reproduktiven Klonens wissen wir einfach zu wenig, nur etwa, dass die so erzeugten Tiere bis jetzt alle irgendwie angeschlagen waren, von «Dolly» bis zu all den anderen Geschöpfen. Aber ich glaube, das Klonen von Menschen ist auch gar kein grosses Thema, weil es vollkommen ineffizient ist, sich auf diese Weise zu reproduzieren - besonders verglichen mit den erprobten Techniken, von denen wir eben gesprochen haben. Die Angst, irgend ein Verrückter könnte sich da durch Klonen tausendfach vermehren, ist sicher ungerechtfertigt. Und selbst wenn es einem Individuum gelänge, ein Klon von sich herstellen zu lassen, käme ein ganz anderer Mensch dabei heraus, möglicherweise eine grosse Enttäuschung. Das Genom wäre zwar identisch, aber das wäre auch schon alles und nur ein kleiner Teil dessen, was einen Menschen ausmacht.
Menschenklonen ist daher meiner Ansicht nach kein Menschheitsproblem, sondern wirft vor allem prinzipielle Fragen auf. Die will ich aber nicht beantworten, weil jeder Mensch das anders sieht. Interview Ulrich Goetz

BASLER ZEITUNG / 20.03.2002
Erschienen am: 20.03.2002
Fast wäre die «Pille» in Basel erfunden worden
Carl Djerassi Anfang März im BaZ CityForum: «Wissenschaft sollte häufiger auch in Literatur und Theater thematisiert werden.» Foto Roland Schmid
U. G. Die Auflistung der Preise und Auszeichnungen füllt eine A4-Seite, eng bedruckt. Nur der begehrteste Lorbeerkranz, der Nobelpreis, ist ihm (bis jetzt?) versagt geblieben, dem Mann, der «die Frauen befreite»: Weltruhm hatte Carl Djerassi erstmals als Erfinder der «Pille» erlangt. «Nein, ich bin nicht der Vater, höchstens die Mutter der Pille», wendet der Chemiker, Unternehmer und Schriftsteller im Gespräch mit der BaZ gleich ein. Zwar habe er, fünfzig Jahre sinds her, tatsächlich als Erster den Stoff Norethindron synthetisiert, der ein Jahrzehnt später der Antibaby-pille zur Wirkung verhalf. Zuvor aber wurde die Substanz schon gegen Menstruationsbeschwerden eingesetzt: «Die Pille hat eben mehrere Geburtstage», so Carl Djerassi.
Und wenns nach ihm gegangen wäre, hätten diese Geburtstage auch in Basel gefeiert werden können. 19 Jahre jung war der 1923 in Wien geborene Spross einer aus Bulgarien stammenden Familie, als er seinen ersten Coup landete, nämlich bei Ciba in New Jersey den Wirkstoff von «Pyribenzamin» entdeckte, ein Heuschnupfenmittel, das dann bis in die 60er Jahre hinein ein Verkaufsschlager war. Schon damals faszinierte den jungen Mann die Welt der Steroidhormone, aber dieser Forschungszweig wurde bei Ciba ausschliesslich im Stammhaus gepflegt. Djerassi wäre «gerne nach Basel gekommen, aber ich wurde nicht gefragt».
Zwar spielte die «Basel connection» später dann gleichwohl eine grosse Rolle im Leben des jungen Forschers, aber fürs Erste verschlug es ihn 1957 nach Mexiko als Forschungschef zu einer kleinen Bude namens «Syntex». Diese extrahierte dort aus Yam-Wurzeln Steroidhormone, die Djerassis Team als Rohstoff für die Herstellung von Cortison und eben den Antibabypillen-Wirkstoff nutzte. 1959 wurde Djerassi zum Chemieprofessor an der Stanford-Universität ernannt, später übersiedelte dann auch Syntex nach Kalifornien. 1972, lange bevor die Firma in den 90er Jahren von Roche übernommen wurde, stieg Djerassi bei Syntex aus, «im besten Einvernehmen», wie er versichert, und gründete ein kleines Spin-off-Unternehmen, die «Zoecon».
Hier konzentrierte sich der brillante Wissenschaftler auf die Entwicklung eines damals noch revolutionären Konzepts, Insekten zu bekämpfen. Statt mit der chemischen Keule rückten die Zoecon-Wissenschafter den Schädlingen jetzt mit dem Florett auf den Pelz, mit natürlich vorkommenden Hormonen, die Wachstum, Sexual- und sonstiges Verhalten der Krabbeltiere dergestalt verändern, dass sie kaum mehr Schaden anrichten können. Das Konzept scheint sich bewährt zu haben, zumindest wurde Zoecon von Sandoz übernommen und gehört jetzt zu Novartis: Man sieht, Djerassi kam nie wirklich los von Basel.
Mit 65 dann nochmals eine Wende in der Karriere des brillanten Forschers und Unternehmers: Carl Djerassi wird Vollzeit-Romanautor und -Dramatiker. Und die überlieferte Anekdote, wie es dazu kam, entspricht sogar der Wahrheit: «Meine Freundin brannte mit einem Schriftsteller durch, und ich wollte ihr beweisen, dass ich mindestens so gut schreiben kann wie dieser Kerl», erinnert sich Djerassi. Und es klappte, Diane Middlebrook, selber eine erfolgreiche Autorin, gab schliesslich Carl das Jawort - unter der Bedingung, dass er seinen Roman-Erstling, der ebendiese Liebes- und Leidensgeschichte zum Inhalt hatte, nie veröffentliche.
Nun, die beiden sind «immer noch glücklich zusammen», versichert Djerassi - Bücher und neuerdings Theaterstücke durfte er sonst noch genug schreiben. Der «science in fiction», also etwa der Darstellung wissenschaftlicher Themen in der Literatur, hat sich der spätberufene Autor verschrieben. «Als eifriger Theaterbesucher hats mich immer wieder gestört, wie selten wissenschaftliche und medizinische Probleme, die uns doch alle nahe gehen, zu Bühnenstoff werden. Das will ich ändern.» Hat er auch, etwa mit dem Stück «Sauerstoff», in dem er einen Nobelpreis posthum verleihen lässt. Oder mit «Unbefleckt», dem Theaterstück, in dem er Vor- und Nachteile der künstlichen Befruchtung mit der ICSI-Methode in Dialogform darstellt. Und so in gewissem Sinne zu den Anfängen zurückkehrt: Hatte Carl Djerassi als Hormonchemiker das Erleben von «Sex ohne Befruchtung» ermöglicht, so ist er heute Advokat der Techniken, die «Befruchtung ohne Sex» versprechen.
http://www.djerassi.com:80/index.html