"Man muß neugierig sein"


Der Vater der Antibabypille, Carl Djerassi, ist ein dankbares "Opfer" für Journalisten: er ist witzig, er ist ironisch und läßt es keinen spüren, daß er einer der berühmtesten Chemiker unserer Tage ist. Günter Kaindlstorfer mit dem agilen Mittsiebziger gesprochen.

Herr Professor Djerassi...

Nennen Sie mich um Gottes Willen nicht "Professor"!

Warum nicht?

Na ja, sonst glauben die Leute, ich schreibe professorale Theaterstücke. Diesen Eindruck wollen wir vermeiden, nicht wahr.

Okay - Carl Djerassi, Sie feiern heuer Ihren 76. Geburtstag. Vor einigen Monaten haben Sie Ihr erstes Stück geschrieben. Kommt dieses Debüt nicht reichlich spät?

Carl Djerassi
Carl Djerassi

Aber nein, ich fühle mich wie 29, nicht wie 76. Warum soll ich in diesem Alter keine neue Karriere beginnen? Vor zehn Jahren war ich noch ein Chemie-Professor, der begonnen hat, Romane zu schreiben. Jetzt bin ich ein Romancier, der begonnen hat, Theaterstücke zu schreiben. Was ist daran schlecht? Ich arbeite hart an meiner neuen Karriere. Mein Erstlings-Stück "Unbefleckt" habe ich 24 Mal umgeschrieben. Keinen anderen Text in meinem Leben habe ich so oft bearbeitet.

Sind Sie mit dem Resultat zufrieden?

Ob "Unbefleckt" ein gutes Stück ist, müssen die Zuschauer beurteilen. Und die Kritiker.

Es geht um künstliche Befruchtung und Reproduktionsbiologie. Wird die wissenschaftliche Revolution unser Leben verändern?

Und wie! Meiner Meinung nach könnte das Jahr 2000 das erste Jahr werden, in dem die Menschen Sex und Fertilisation voneinander trennen. Klar, die Menschen werden weiter Sex miteinander machen. Aber die Befruchtung der weiblichen Eizelle kann in Hinkunft ohne weiteres unter dem Mikroskop durchgeführt werden. Das wird ungeheure Auswirkungen haben.

Welche?

Eine Frau wird auch mit fünfzig noch Kinder haben. Technisch ist das ohne weiteres machbar. Die Frage ist bloß: Soll man das auch tun.

Und? Soll man?

Das müssen in erster Linie die Frauen entscheiden. Bedenken Sie, die Menschen werden heute älter als früher. Wenn die durchschnittliche Lebenserwartung irgendwann auf neunzig Jahre steigen wird, warum soll eine Frau dann nicht mit fünfzig noch ein Kind bekommen? Sie hätte Gelegenheit, sich im Beruf zu etablieren, bevor sie schwanger wird. Aber eines ist klar, mein Stück gibt keine Antworten, es stellt bloß Fragen.

Carl Djerassi, Sie haben vor gut zehn Jahre zu schreiben begonnen.

Das war eine wichtige Erfahrung für mich.

Haben Sie sich verbessert in dieser Zeit?

Ja, eindeutig. In der Literatur gilt das Gesetz: Je mehr Routine man sich erwirbt, umso besser wird man.

Wie wichtig ist Ihnen Kritik beim Schreiben?

Sehr wichtig. Ich habe ja einen wundervollen und konstruktiven Kritiker zu Hause: meine Frau. Sie unterrichtet als Literaturprofessorin in Stanford. Eine scharfe Kritikerin, sehr scharf.

Sie sind ein kreativer Mensch, Herr Professor, in vielen Bereichen. Gibt's ein Geheimnis Ihrer Kreativität?

Man muß sich seine Neugierde erhalten, das ist das wichtigste. Man muß spontan und unruhig sein. Ich arbeite immer an vier, fünf Projekten gleichzeitig. Und: Ich stecke mir ehrgeizige Ziele.

Welches Ziel haben Sie sich jetzt gesteckt?

Ich möchte als Dramatiker Erfolg haben. Und ich will der erste Stanford-Professor werden, der mit hundert noch in Amt und Würden ist.

Das heißt - das nächste Interview machen wir im Jahr 2023?

Glänzende Idee. Ich gebe Ihnen meine Karte.

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