� �ZEIT Wissen 03/2006

Aus schwierigen Verh�ltnissen

Carl Djerassi arbeitet an der Trennung von Sex und Fortpflanzung. Als "Vater der Antibabypille" l�utete er in den 60er Jahren die sexuelle Revolution ein. Heute greift er als Schriftsteller die ethischen Probleme und die neuen Tabus der modernen Reproduktionsmedizin auf.

Carl Djerassi �berall: Der Forscher und Autor vertritt die These, dass Sex und Fortpflanzung getrennt sein werden - mit oft skurrilen Folgen. Sagen Sie uns dazu Ihre Meinung.

�PRISCILLA (eine streng gl�ubige Christin): Ich hab ... nachgedacht.

CAMERON (ihr Ehemann): Nachgedacht? �ber was?

PRISCILLA: �ber Ehebruch. (Z�gert.) Ich hab daran gedacht, Ehebruch zu begehen.

CAMERON (erstaunt): Du meine G�te! ... Mit jemand Bestimmtem?

Anzeige

PRISCILLA: Nein, nat�rlich nicht.

CAMERON: Du hast also blo� daran gedacht, aber nichts unternommen?

PRISCILLA: Cameron!

CAMERON: Ich frag ja nur, damit ich das auch richtig kapiere.

PRISCILLA: Richtig ist ja wohl, dass wir kein Baby haben!

CAMERON: Ich ... ich tu ja, was ich kann.�

Dieser Dialog stammt aus meinem letzten Theaterst�ck, Tabus. Beachten Sie, dass ich im Titel den Plural verwendet habe: Thema ist nicht das einzelne Tabu Ehebruch - �berstrapaziert in Dramen und allt�glich in der Geschichte -, sondern die viel komplexeren Tabus aus der j�ngeren Vergangenheit, die in Verbindung mit nichtkoitaler Fortpflanzung entstanden sind.

Vor knapp zehn Jahren wurde ich vom Chemiker zum Dramatiker, weil seit Beginn der Aufkl�rung der Dialog aus dem schriftlichen Diskurs zwischen Wissenschaftlern faktisch verschwunden ist. Doch gerade der Dialog macht den Diskurs menschlich. Und da es eines meiner Ziele als schreibender Exforscher ist, wissenschaftliche Entdeckungen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft in die K�pfe desinteressierterr oder sogar widerspenstiger Zuschauer zu schmuggeln, habe ich mich beim Schreiben der dialogintensivsten Form von Literatur zugewandt, dem Theater.

Doch um zu erkl�ren, warum ich eine Reihe von Tabus zu meinem aktuellen Thema gemacht habe, muss ich die Uhr um 60 Jahre zur�ckdrehen, zum Oktober 1945, als ich f�r die chemische Umwandlung des m�nnlichen Sexualhormons Testosteron in das weibliche Sexualhormon Estradiol meinen Doktor in organischer Chemie bekam. Damals galt diese �Geschlechtsumwandlung� im Labor als beinahe ebenso schwierig wie jene im Operationssaal. Dennoch gab mir der Erfolg dieser Transformation den n�tigen chemischen Background, um sechs Jahre sp�ter in Mexico City mit einem kleinen Team die erste Synthese eines wirksamen oralen Verh�tungsmittels zu erzielen.

Die �Pille� wurde 1960 zur Empf�ngnisverh�tung zugelassen und machte den Geschlechtsverkehr ohne reproduktive Folgen zur bequemen Realit�t. Kein Wunder, dass in den verbleibenden vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts �Empf�ngnisverh�tung� zum Leitmotiv der menschlichen Fortpflanzung wurde und �Sex aus Liebe, Spa�, Lust oder einfach nur Neugier� zur hedonistischen Realit�t. Die Pille beseitigte beinahe vollst�ndig die Furcht vor ungewollter Schwangerschaft, die bis dahin die meisten Frauen und einige M�nner davon abgehalten hatte, die Tabus um vorehelichen Geschlechtsverkehr, sexuelle Promiskuit�t und Seitensprung zu brechen.

Doch mein St�ck Tabus behandelt nicht solche konventionellen Sittenvrletzungen. Vielmehr geht es mir um die gesellschaftlichen Folgen von In-vitro-Fertilisation (IVF). Mit anderen Worten: �Befruchtung ohne Sex� im Gegensatz zum durch die Pille erm�glichten �Sex ohne Befruchtung� - ein Vorgang, der erstmals 1977 in Gro�britannien durch Edwards und Steptoe entwickelt wurde. Mich besch�ftigt vor allem eine der j�ngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit IVF: ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion), erfunden 1991 in Belgien von Andr� C. Van Steirteghem und seinen Kollegen.

�PRISCILLA (nachdem sie erfahren hat, dass sie unfruchtbar ist): Und wie l�sen wir mein Problem?

CAMERON: Da m�sste uns eine andere Frau helfen.

PRISCILLA: Aber welche Frau macht so was? Ich wei� genau, dass ich das nie f�r eine andere tun w�rde ... wenn ich fruchtbar w�re.

CAMERON: Eine gro�herzige Frau vielleicht schon.

PRISCILLA: Und wo find ich die? Mir w�r's viel zu peinlich, jemand zu fragen.

CAMERON: Soll ich's mal versuchen?

PRISCILLA: Im Ernst? (Z�gert.) Aber wenn du das machst, will ich nichts �ber sie erfahren.

CAMERON (�berrascht): Willst du denn nicht wissen, wer sie ist? Wie sie aussieht?

PRISCILLA: Ein bisschen was w�sste ich nat�rlich schon gern �ber sie: ihr Alter ... Gesundheitszustand ... Familienverh�ltnisse ... (Z�gert.) Und nat�rlich die Religion.

CAMERON: Religion ist nichts Genetisches. Es geht blo� um ein Ei.

PRISCILLA: Trotzdem ... Mir w�re halt lieber, wenn es ein christliches Ei w�re. Aber ich w�rde die Spenderin nicht kennen lernen wollen ... oder ein Foto von ihr sehen wollen. Wahrscheinlich ist es so �hnlich wie bei einer Samenbank. Da bekommt man jede Menge Informationen ... genetischer Hintergrund, Hautfarbe, Ausbildung ... sogar die Hobbys und die Lieblingschriftsteller ... solche Sachen halt ... aber kein Foto und keinen Namen.

CAMERON (erstaunt): Prissy! Du bist doch nicht wom�glich zu einer Samenbank gegangen, oder?

PRISCILLA: Ich bin nicht zu einer Samenbank gegangen. Ich hab mir ein paar angeschaut ... im Internet. Du w�rdest dich wundern, was du da alles findest. Mehr Informationen �ber einen anonymen Samenspender, als ich von meinem eigenen Mann wei�.

CAMERON: Warum hast du mir nichts davon erz�hlt?

PRISCILLA: Ich wei� es nicht. Vielleicht, weil ich Angst hatte, ich k�nnte versucht sein.

CAMERON: Und jetzt?

PRISCILLA: Jetzt bin ich anscheinend bereit, der Versuchung nachzugeben. Aber ich will nichts �ber die Spenderin wissen. Du sollst mir nur sagen, wie du ihr Ei befruchtet hast. Versprich mir, dass du es mit ICSI machst ... und nicht anders!

CAMERON (verbl�fft): ICSI? Woher wwwei�t du was von ICSI?

PRISCILLA: Ich hab im Internet nachgeschaut. Bei ICSI wird nur ein einziges Spermium missbraucht.

CAMERON: Missbraucht?

PRISCILLA: Jawohl, weil es n�mlich nicht nat�rlich ist. Im Internet steht, dass nur ein einziges Spermium unter dem Mikroskop in die Eizelle injiziert wird. Ich w�rde nicht wollen, dass du es auf die nat�rliche Weise machst ... mit Millionen von Spermien. Das scheint mir weniger s�ndig zu sein ... es blo� mit einem zu machen.

CAMERON: Schon, aber vielleicht brauchen wir mehr als eins. Bei ICSI wird meist mehr als blo� ein Ei befruchtet.

PRISCILLA: Und was passiert mit den �brigen Embryos?

CAMERON: Warum willst du das alles wissen?

PRISCILLA: Weil ich's halt wissen will!

CAMERON: Die werden eingefroren.

PRISCILLA: F�r wie lange?

CAMERON: Was wei� ich. Bis wir sicher sind, dass wir sie nicht mehr brauchen.

PRISCILLA: Und dann?

CAMERON (ungeduldig und gereizt): Was wei� ich. Vielleicht werden sie zur Adoption freigegeben?

PRISCILLA: Still! Ich will nichts mehr davon h�ren. (F�llt auf die Knie und zieht Cameron ebenfalls auf die Knie.) O Herr, erbarme dich dieser zwei S�nder, die sich von ganzem Herzen ein Kind w�nschen, und erh�re unser Flehhhen um eine gl�ckliche Niederkunft. Alle unreinen Gedanken, die wir gehabt haben m�gen ... alle Verfehlungen, die wir begangen haben m�gen ...�

Wir m�ssen damit rechnen, dass statt �Empf�ngnisverh�tung� in den �beralterten L�ndern Europas (und bald auch in China) zunehmend �Empf�ngnis� zum Schlagwort f�r das 21. Jahrhundert wird, wo die demografische Realit�t derzeit bei durchschnittlich 1,5 Kindern pro Familie liegt, also in ganz Europa au�er in Albanien weit unter dem Erhaltungsniveau. Und was hat das mit ICSI zu tun?

ICSI ist die effektivste IVF-Methode zur Bek�mpfung m�nnlicher Unfruchtbarkeit aufgrund zu geringer Spermienanzahl. Die d�rfte f�r rund ein Drittel aller F�lle von Kinderlosigkeit verantwortlich sein. Bei ICSI wird in mehrere Eizellen (die mittels hormonbedingter Superovulation erzeugt wurden) jeweils eine einzige Samenzelle injiziert, wodurch mehrere Embryos entstehen, die auf eine Vielzahl von Erbkrankheiten untersucht werden k�nnen, bevor sie als drei Tage alte Embryos in die Geb�rmutter eingepflanzt werden. F�r die steigende Zahl berufst�tiger Frauen, die erst mit Ende 30 oder noch sp�ter Kinder bekommen m�chten, wird diese M�glichkeit zunehmend attraktiv. In diesem Alter ist die H�ufigkeit von Genmutationen (wie dem Down-Syndrom) um mehrere hundert Prozent h�her als bei j�ngeren Frauen.

�SALLY (33-j�hrige Schwester von Cameron und Mutter eines Babys): Du willst also ... auch ein Baby. Und wann willst du die Sache in Angriff nehmen?

HARRIET (erfolgreiche Urologin und Lebensgef�hrtin von Sally): In zwei Monaten. So lange brauche ich f�r die Vorbereitungen.

SALLY: Willst du zu einer Samenbank gehen?

HARRIET: Da war ich schon.

SALLY: Und du hast mir nichts davon gesagt?

HARRIET: Nein ... weil mir schnell klar wurde, dass eine Samenbank nicht das Richtige f�r mich ist. Also warum dar�ber reden? Ich brauche etwa zwei Monate, um mich f�r die Superovulation vorzubereiten. Ich bin jetzt 37. Nicht zu alt f�r ein Kind, vorausgesetzt, ich bin nicht unfruchtbar ... aber alt genug, um auf Nummer Sicher zu gehen.

SALLY: Du denkst an eine Fruchtwasseruntersuchung?

HARRIET: Nein ... darauf m�chte ich mich nicht einlassen. Denn wenn dann etwas ... nicht in Ordnung ist ... gibt es nur die Alternative Schwangerschaftsaaabbruch, weil ich dann bereits im dritten Monat bin. Nein, ich setze auf die Pr�-Implantations-Diagnostik.

SALLY: Mit anderen Worten: keine normale k�nstliche Befruchtung.

HARRIET: Richtig. Es kommt nur ICSI in Frage ... die direkte Injektion eines Spermiums in meine Eizelle. Das scheint mir das einzig Richtige zu sein. (Z�gert.) Ich habe lange dar�ber nachgedacht.

SALLY: Hast du dir schon �berlegt, wer der gl�ckliche Spender sein soll?

HARRIET: Ich habe da schon so eine Idee.�

Diese Szene spielt selbstverst�ndlich auf einen bis vor kurzem unvorstellbaren Tabubruch an: dass ein Kind zwei Elternteile desselben Geschlechts haben k�nnte. Doch ICSI kann noch weitere ethische Fragen aufwerfen: Was ist mit der Vorherbestimmung des Geschlechts des Kindes? Bevor Sie vor den horrenden makroskopischen Folgen erschauern, wenn diese Technik in gro�em Ausma� in L�ndern wie China oder Indien (das entspricht einem Drittel der Weltbev�lkerung) praktiziert w�rde, wo der Wunsch nach einem m�nnlichen Nachkommen kulturell gepr�gt ist, sollten Sie das folgende mikroskopische Beispiel in Tabus betrachten.

�CAMERON (deutet auf Harriets Bauch): Ich hab dich geschw�ngert ... da f�hl ich mich halt verantwortlich ...

HARRIET (rasch, fast �rgerlich): Moment mal! Moment mal! Du hast mich nicht geschw�ngert ... und du bist ganz gewiss nicht verantwortlich. (H�lt inne.) Wir haben ein paar Spermien von dir benutzt ... genau gesagt, sieben ... die in sieben von meinen Eizellen injiziert wurden. Du wolltest wissen, ob du zeugungsf�hig bist ... und ich war bereit, dir zu helfen, das mit einem der Embryonen herauszufinden. Ich habe das nur getan, weil ich ein eigenes Kind mit Sally haben wollte. Und da sie deine Schwester ist, tr�gt sie durch dein Spermium zum Genpool des Babys bei. Es war meine Entscheidung ... und ich allein trage die Verantwortung. Du hattest deine Schuldigkeit getan, sobald du masturbiert hattest.

CAMERON (trocken und leicht ironisch): Vielen Dank, die Dame ... f�r diese klaren Worte.

HARRIET: Ich bin noch nicht fertig. Nachdem sich der Embryo in meiner Geb�rmutter eingenistet hatte, habe ich dir die anderen zur freien Verf�gung �berlassen. Das war die einzige Bedingung zwischen uns. Dass deine Frau mit einem dieser Embryonen schwanger wurde, daf�r bist du verantwortlich ... nicht ich. (Noch nachdr�cklicher.) Wenn dieser Junge (deutet auf ihren Bauch) geboren wird, dann ist das mein Sohn. Und wenn Priscilla entbindet, dann ist das euer Sohn. Ist das klar? Wir wollen da nichts durcheinander bringen.

CAMERON: Woher wei�t du, dass es beide Male Jungs werden?

HARRIET: Weil ich einen Sohn haben wollte.

CAMERON: Aber so l�uft das nicht. Was wir bekommen, das entscheidet Gott, und wir werden dankbar sein f�r das, womit er uns segnet.

HARRIET (milder): Cam, ich will mit dir nicht �ber Religion streiten. Hier geht es schlicht um Biologie. (Z�gert.) Wir haben f�r die k�nstliche Befruchtung die ICSI-Methode gew�hlt, richtig?

CAMERON: Richtig.

HARRIET: Also in jede Eizelle ein Spermium injiziert, richtig?

CAMERON: Richtig.

HARRIET: Das Geschlecht des Kindes wird immer durch das Spermium bestimmt. Ein Spermium, dass das Y-Chromosom tr�gt, f�hrt zu einem Jungen, ein Spermium, das das X-Chromosom tr�gt, zu einem M�dchen. Das lernt man schon in der High-School ... sogar in Mississippi.

CAMERON: Worauf willst du eigentlich hinaus?

HARRIET: Dass es inzwischen eine Technik gibt ... die so genannte Durchfluss-Zytometrie ... um X- von Y-Spermien zu trennen ...

CAMERON (best�rzt): Und du hast die Spermien trennen lassen? Und hast mir nichts davon gesagt?

HARRIET: Das geh�rte nicht zu unserer Abmachung. Du wolltest wissen, ob du zeugungsf�hig bist, ich wollte einen Sohn, und du wolltest mit deiner Frau ein Kind haben. F�r weitere ICSI-Injektionen waren keine Eizellen von mir mehr da. Ich war schon gro�z�gig genug, dir die �brigen Embryonen zu �berlassen, und das waren alles potenzielle Jungs. Was spricht denn dagegen, einen Jungen zu bekommen?

CAMERON: Nichts.

HARRIET: Na bitte!

CAMERON: Aber das Geschlecht des Kindes auszusuchen, das ist so ...

HARRIET: Sag blo� nicht ... unnat�rlich.

CAMERON: Doch, unnat�rlich.

HARRIET: Glaubst du etwa, ICSI sei nat�rlich? Die moderne Medizin ist voll von Eingriffen und Substanzen, die es in der Natur nicht gibt. H�ltst du �unnat�rlich� automatisch f�r �unethisch�? Wei�t du, dass seit 1991 mehr als 100 000 ICSI-Babys geboren worden sind?�

Ich kann mir vorstellen, dass nun einige Leser �Jetzt haben wir genug von Ihren Tabus!� rufen. Doch wie w�re es mit noch einem? Einem, das - bis jetzt - nur in meinen Tabus vorgekommen ist, das jedoch schon aus statistischen Gr�nden in der nahen Zukunft wahrscheinlich ist, wenn man bedenkt, wie viele durch ICSI produzierte Embryos herumgereicht werden? Wie w�re es mit Zwillingen, die 3000 Kilometer voneinander entfernt auf die Welt kommen?

�HARRIET: Erinnere dich: Du selbst hast gesagt, dass du nichts dagegen einzuwenden h�ttest, wenn Cameron mein Samenspender w�rde. Es fiel mir nicht leicht, mich dazu durchzuringen, sein Sperma zu benutzen. Ich war mir nicht sicher, ob Cameron sich damit zufrieden geben w�rde, nur der Samenspender zu sein ... so wie Max bei dir. Vor allem deshalb, weil Cameron ein eigenes Kind haben wollte.

SALLY: Sprich weiter.

HARRIET: Wenn mein Sohn einen zweiten Elternteil haben sollte, dann wollte ich, dass du das bist ... und nicht dein Bruder. Aber da er einen Ersatz-Embryo f�r seine Frau suchte und da Priscilla nichts �ber die Ei-Spenderin erfahren wollte, dachte ich mir, wenn ich sein Sperma und meine Eizellen benutze und ihm die �bersch�ssigen Embryonen gebe, dann w�rde er mir keine Schwierigkeiten machen, sobald er selbst ein Kind hat ... und zwar in Mississippi, so weit weg von hier wie nur m�glich.

SALLY: Harriet! Der springende Punkt ist, warum du mir nicht gesagt hast, dass du ihm die Embryonen gegeben hast!

HARRIET: Weil ich ihm versprechen musste, es keinem Menschen zu sagen. Willst du sagen, ich h�tte mich nicht an mein Versprechen halten sollen?

SALLY: Harriet, die beiden sind Zwillinge! Keine eineiigen nat�rlich. Aber was sind Zwillinge anderes als Geschwister derselben biologischen Mutter und desselben biologischen Vaters, zur selben Zeit geboren? Ich bin die Ko-Mutter deines Sohnes, aber ich wollte keine Zwillinge!

HARRIET: Woher h�tte ich denn wissen sollen, dass die beiden die Sache sofort in Angriff nehmen? Und dass sich der Embryo auf Anhieb einnistet? Und dass ihr Baby vorzeitig geboren wird, noch dazu am selben Tag wie mein Kind? Wenn sie ein paar Monate gewartet h�tten ... dann w�ren die beiden Jungs f�r mich lediglich zwei Kinder, die 2000 Meilen voneinander entfernt von zwei verschiedenen M�ttern zur Welt gebracht wurden.

SALLY: Und was jetzt?

HARRIET: Jetzt habe ich Angst.�

Ich k�nnte nun selbstverst�ndlich mit der Beschreibung anderer bevorstehender Tabubr�che weitermachen, die aber alle in der folgenden Ansprache von Max, Harriets Bruder (und Samenspender f�r Sallys Baby), beinhaltet sind.

�MAX: Das Familienrecht, das hier gefragt ist, gibt es noch nicht. Zun�chst einmal, wie w�rde ein Anwalt Camerons Rollen definieren? Er ist der Vater von Zwillingen ... die jeweils eine andere gesetzliche Mutter haben ... eine Art Schwiegeronkel seines eigenen Sohnes und der Onkel des Stiefbruders seines Sohnes ... (wirft die H�nde hoch) ... Ich k�nnte noch fortfahren.�

Doch wozu sich die M�he machen? Jeder, der neugierig genug ist, sollte sich einfach mein St�ck ansehen oder das Buch lesen. Wer sich vor diesen Tabubr�chen zu sehr f�rchtet oder ekelt, braucht nur ein paar Jahrzehnte zu warten, denn wie es so oft in sexuellen Angelegenheiten geht: Die Tabus von gestern sind die Normen von morgen.

Manche Leser werden nun verst�ndlicherweise fragen: �Und was ist mit Ihnen, Herr Djerassi? Was ist Ihre Meinung? Sie haben zweifellos zu dieser Trennung von Sex und Fortpflanzung beigetragen, die Sie in Ihren Science-in-Fiction-Romanen und besonders in Ihren St�cken immer wieder ansprechen. Sind Sie zufrieden damit, einfach nur Fragen zu stellen und die Antworten vorzuenthalten?�

Solche Fragen sind berechtigt, trotzdem z�gere ich, sie zu beantworten. Warum? In erster Linie, weil ich der Meinung bin, dass Sex und Fortpflanzung so private Angelegenheiten sind, dass nur das betroffene Paar - und manchmal nur die betroffene Frau - eine Entscheidung treffen sollte. Ich glaube, dass es meine Aufgabe ist, die Fragen zu stellen und f�r den korrekten technischen Hintergrund zu sorgen, damit die nachfolgende Debatte realistisch gef�hrt wird - und nicht hysterisch.

Wen interessiert, was dieser 82-j�hrige Schriftsteller, der fr�her Wissenschaftler war, denkt? Da ich mich nicht vor einer Antwort dr�cken will, mache ich es kurz und b�ndig: Die Trennung von Geschlechtsverkehr und Reproduktion ist in ganz Europa bereits ein Faktum. Denn falls das nicht so w�re, w�rden die meisten Europ�er z�libat�r leben, sobald sie ihre 1,5 Kinder pro Familie produziert h�tten. Ganz offensichtlich haben sie mehrere hundert Mal Sex ohne die geringste Absicht, dabei ein Baby zu zeugen. F�r jedes hier angesprochene Problem kann man Horrorszenarien entwerfen. Jedem kann man ein �Und was, wenn?� entgegnen. Das reduziert alles unweigerlich auf eine private Entscheidung, anstelle einer Allgemeing�ltigkeit, die dann Empfehlung oder Verbot w�rde.

Die Hauptsssorge der �ffentlichkeit ist freilich, all dies k�nnte zu einer Zerst�rung der Kernfamilie f�hren. Das ist himmelschreiender Unsinn. In dem von mir beschriebenen Szenario w�re nahezu jedes Kind �geplant� und dadurch �gewollt�. �Gewollte� Kinder sind ausnahmslos �geliebte� Kinder, die ihrerseits den st�rksten Kitt f�r eine funktionierende Familie bilden. Lassen Sie mich mit einem weiteren Zitat aus Tabus schlie�en:

�MAX: Denkt daran: Es kommt nicht darauf an, wie viele Mamis oder wie viele Papis es in deiner Familie gibt. Es kommt nicht darauf an, ob es in deiner Familie Geschwister oder Cousins oder Cousinen oder Gro�m�tter oder Gro�v�ter oder Onkel oder Tanten gibt. Jede Familie ist etwas Besonderes. Wichtig ist nur, dass sich alle Menschen in dieser Familie lieb haben. Noch versteht dieses Baby das nicht ... aber das wird sich bald �ndern.�

Fortpflanzung ohne Sexualit�t? Horrorvorstellung oder Segen f�r die Menschheit? Sagen Sie uns Ihre Meinung und diskutieren Sie mit!

Carl Djerassi, emeritierter Professor f�r Chemie an der Stanford University, hat au�erdem f�nf �Science-in-Fiction�-Romane und sechs Theaterst�cke geschrieben. Tabus hatte am 28. Februar in London seine Weltpremiere und ist auf Deutsch unter dem Titel �Phallstricke. Tabus. Zwei Theaterst�cke aus den Welten der Naturwissenschaft und der Kunst� im Haymon-Verlag erschienen.

�bersetzung: Ursula-Maria M�ssner, Sigrid Neudecker

� �ZEIT Wissen 03/2006



SERVICE- und WERBEPARTNER VON ZEIT ONLINE

Private Krankenversicherung
Weltkunst�|� Wohlf�hlen�|� Partnersuche�|� Autoanzeigen�|� DSL Vergleich�|� Kredite�|� Markt.de