Professor Carl Djerassi wurde 1923 in
Wien geboren und musste wegen der Machtergreifung der
Nazis in die USA emigrieren. Er gilt als der Erfinder
der sogenannten Antibabypille, weil er die letzten entscheidenden
Forschungen als Chemiker dafür leistete.
Als Ihn seine Freundin wegen eines Schriftstellers
verließ, begann er selbst zu schreiben, um ihr zu beweisen,
dass er das auch zustande bringt. War der erste Roman
(seiner Meinung) noch kein Meisterwerk und ist bis heute
unveröffentlicht geblieben, feierte er mit späteren Büchern
und Theaterstücken große Erfolge. Zumindest in einer Hinsicht
war auch dieser erste Versuch von Erfolg gekrönt, ein
Jahr später heirateten die Beiden und blieben bis heute
verheiratet. Er nennt das Genre "Science-in-Fiction" und
verpacht wissenschaftliche Themen in literarischer Formen,
um so einem breiten Publikum die dahinter stehenden komplizierten
Vorgänge verständlicher zu machen.
Einige Schicksalsschläge, wie der Freitod
seiner achtundzwanzigjährigen Tochter oder eine Krebserkrankung,
veränderten seine Lebenseinstellung immer wieder deutlich.
Seine Tochter war eine begabte Malerin und ihr Freitod
war der Anlass für Carl Djerassi eine Künstlerkolonie
zu gründen. Finanziert wurde sie teilweise aus dem Verkauf
seiner umfangreichen Bildersammlung. Nur die Bilder von
Paul Klee behielt er in seinem Besitz, stellt sie aber
oft für verschiedene Ausstellungen zu Verfügung. Zur Zeit
dieses Interviews sind sie gerade in Krems in Niederösterreich
zu bewundern.
Herr Professor Djerassi sie sorgen mit
Ihren Büchern und Theaterstücken ja für ein besseres Verständnis
der Wissenschaft. Fürchten Sie nicht trotzdem, dass weiten
Bevölkerungsteilen der heutige Kenntnisstand nicht einmal
mehr in seinen Grundzügen verständlich zu machen ist?
Natürlich.
Dadurch sind aber politische Entscheidungen
im Bereich Wissenschaft schwer klar vermittelbar. Populisten,
fragwürdigen Glaubenseiferern und Sekten könnten diese
Wissensdefizite dann leicht für ihre Ziele benutzen. Selbst
in Amerika gibt es Beispiele, wo z. B. die heute ja wissenschaftlich
unumstrittene Evolutionstheorie aus religiösen Gründen
auf einigen Schulen nicht gelehrt werden darf. Fürchten
Sie eine Verstärkung dieser Tendenz oder glauben Sie eher,
es wird weiter ein absurdes Phänomen am Rande bleiben?
Ich würde nicht sagen "selbst in Amerika"
sondern "insbesonders in Amerika." leider fürchte ich
eine weitere Fortsetzung wenn nicht sogar Verstärkung
dieser Tendenz.
Das Fernsehen, Autoren populärwissenschaftlicher
Bücher und andere Medien versuchen wissenschaftliche Kenntnisse
allgemein verständlich zu vermitteln. Fast notgedrungen
wird dabei aber oft nur Halbwissen verbreitet, weil wenige
Journalisten die wissenschaftliche Kompetenz und wenige
Wissenschaftler die nötige Zeit oder das Talent zur allgemein
verständlichen Formulierung haben. Ist dieses Dilemma
überhaupt lösbar?
Theoretisch natürlich, insbesonders wenn
mehrere Naturwissenschaftler das auch tun würden. Leider
gibt unsere wissenschaftliche Sippenkultur keine "Brownie
points" für solche Arbeiten was natürlich jüngere Leute
davon abhält. Also wird das ein Job der Älteren werden
da sie nicht angst haben noch professionell von ihren
Kollegen bestraft zu werden. (ich bin natürlich so ein
Beispiel, habe jedoch erst Anfangs meiner 60 Jahre angefangen).
Die Gentechnik birgt ja die Gefahr einer
Zweiklassengesellschaft, die jede rassistische Wahnvorstellung
in der Vergangenheit übertreffen könnte. Politische und
gesellschaftliche Einschränkungen werden ja wenig nutzen,
weil sich mit entsprechenden Finanzmitteln immer ein Weg
finden lässt, diese zu umgehen. Können Sie sich erfolgsversprechendere
Mittel vorstellen, um diesen alptraumhafte Zukunftsvision
zu verhindern?
Weil ich diese Angst verstehe, insbesonders
in Deutschland und Österreich mit der ganzen Nazi Geschichte,
habe ich persönlich nicht so eine große Angst. Der Grund
ist dass die meisten Horroszenarios sehr hypothetisch
sind.
Die meisten Entschlüsse für so einen Gebrauch
der Gentechnik sind nur individuelle Entschlüsse und nicht
die von Regierungen oder Gesellschaften und werden es
meiner Meinung nach auch bleiben. Die 2. Szene in meinem
Stück "unbefleckt" ist ein gutes Beispiel dafür, was ich
dabei meine.
Auf der anderen Seite ist der Kenntnisstand
über die Funktion aller Gene und ihrer Beziehung zueinander
ja noch nicht so weit, dass solche "Supermenschen" ohne
Risiko "herzustellen" wären. Ist die Wahrscheinlichkeit
nicht sehr groß, dass hier skrupellose Geschäftemacher
zukünftigen Eltern Versprechungen machen, die sie noch
nicht erfüllen können? Zumindest nicht ohne beträchtliche
Risiken.
Meiner Meinung nach ist diese Gefahr für
die nächsten Jahrzehnte sehr klein, die Funktion der Gene
zu verstehen und dieses Verständnis dann für Supermenschen
anzuwenden ist ein unglaublich komplizierter Schritt.
Skrupellose Geschäftemacher wird man sicher
irgendwo immer finden aber nach einen oder 2 Beispielen
wird das wahrscheinlich so katastrophal sein (zumindest
in den nächsten 10-20 Jahren) dass nur ein paar verrückte
oder blöde Leute das überhaupt versuchen werden.
Wie Sie in "This Man's Pill" schreiben, wäre die "Pille" für den Mann kein wirkliches Problem aus der Sicht der Forschung. Es wäre damit sicher auch einiges Geld zu verdienen, nicht zuletzt, weil einige Frauen die Pille nicht sonderlich gut vertragen. Warum ist sie noch nicht auf dem Markt?
Im Gegenteil zu dem was
sie denken ist das finanziell nicht ein sehr gutes Geschäft,
was natürlich der Grund ist warum keine der 20 größten
Pharma-Konzerne in der Welt überhaupt etwas in diesem
Gebiet machen.
So eine Forschung muss ja auch Männern beweisen
was nach 30 oder 40 Jahren Gebrauch dieser Pillen passiert.
Eine Frage die Frauen nur für ungefähr 20 Jahre fragen
würden. Z.b. ein 20-jähriger Mann würde natürlich fragen
ob man ihm garantieren kann dass er nach 30 Jahren Pillen-Gebrauch
noch ein Kind kriegen kann. Das und andere Nebenwirkungen
wirklich zu studieren braucht hunderte von Freiwilligen
für zu mindest 20 Jahre, was zu mindest 600 800 Millionen
Euro kosten würde bevor ein Pharma-Konzern die Erlaubnis
kriegen würde so eine Pille auf dem Markt zu bringen.
Das lohnt sich Überhaupt nicht, besonders
mit dem Risiko (in der USA), dann allerlei Klagen zu erwarten
im Falle dass die Libido oder Potenz heruntergeht, was
natürlich auch ohne solch einer Pille nach 40 Jahren oft
der Fall ist.
Wie Sie in ihren Büchern
ja beschreiben, herrscht im Wissenschaftsbetrieb ein sehr
"hochtouriger" Arbeits- und Lebensstil vor. Ist ihr Leben
trotz sicher noch immer dichtgefüllten Terminkalenders
seit Ihrem Ausstieg, zumindest aus der Forschung selbst,
etwas ruhiger geworden?
Im Gegenteil, wie sie es
von meinem "reading/lecture" link auf meiner Webseite
sehen können.
Und ist ihnen dieser Umstieg
leicht gefallen?
Es ist mir leicht gefallen
weil das nichts mit "hochtourig" zu tun hat, sondern mit
einem neuen (auch sehr hochtourigen) intellektuellen Leben
als Roman- und Theaterstück-Autor. Und da man als Autor
alleine arbeitet und nicht mit einem Team von Mitarbeitern,
wie in der Forschung, ist es eigentlich viel mehr Arbeit
die mich aber sehr interessiert.
Ihre Bücher erscheinen
in deutscher Sprache beim Innsbrucker Haymon Verlag ihre
Bildersammlung ist zur Zeit in Krems ausgestellt. Haben
Sie, nach dem nicht unbedingt vielversprechenden Anfang,
heute ein besonders gutes Verhältnis zu Österreich oder
ist das nur Zufall?
Das ist zu Schwarz-Weiß.
Es ist klar dass mein Verhältnis zu Wien sich in den letzten
10 Jahren sehr verbessert hat, aber ob es "besonders"
gut ist, ist schwer zu sagen. Zufall hat natürlich auch
etwas damit zu tun. Zum Beispiel, meine Klee-Sammlung
in Krems zu zeigen war nicht mein Entschluss sondern meine
positive Antwort auf die Anfrage der Kremser Kunsthalle
(niemand anderer außer Herr Aigner von der Kunsthalle
hat diese Frage überhaupt gestellt).
Herzlichen Dank und viel Erfolg für die Zukunft!
Von Alfred Ohswald am 17. 10. 2002
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